Warum die Wiesbadener SPD-Bundestagsabgeordnete
Nadine Ruf den Vorstoß für ein AfD-Verbotsverfahren unterstützt,
und was sie zur Kritik daran sagt.
Ein Interview.
Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten
hat einen Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren erarbeitet, darunter sind
Politiker von SPD, Grünen, Union und der Linken. Am Donnerstag
präsentierten sie offiziell ihren Vorstoß, zuvor wurde in den
Fraktionen darüber diskutiert. Auch die Wiesbadener
SPD-Bundestagsabgeordnete Nadine Ruf gehört zu den Unterstützern
der Initiative. Für deren Erfolg wäre eine Mehrheit im Bundestag
erforderlich; das Parlament könnte dann beim Bundesverfassungsgericht
beantragen, ein AfD-Verbot zu prüfen. Doch der Vorstoß ist umstritten,
auch in Ruf's eigener Partei. Im Interview begründet die Politikerin,
warum sie dies dennoch für den richtigen Weg hält - trotz teils
heftigen Gegenwinds.
Frau Ruf, Sie unterstützen den Antrag,
ein AfD-Verbot zu prüfen. Warum?
Artikel 21, Absatz 2 des Grundgesetzes legt fest: "Parteien,
die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf
ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen
oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu
gefährden, sind verfassungswidrig." Das trifft meiner Ansicht nach auf
die AfD zu.
Sie sind seit Anfang des Jahres
Bundestagsabgeordnete. Wie nehmen Sie die AfD-Vertreter im Parlament wahr?
Ich erlebe in jeder Plenardebatte, in jeder Ausschusssitzung,
wie sie Grenzen verschieben, mit Unterstellungen arbeiten, Ressentiments
schüren. Wir haben in den östlichen Bundesländern gerade gesehen,
was passiert, wenn sie nur ein Fitzelchen Macht bekommen: Sie versuchen,
demokratische Institutionen aus dem Inneren heraus kaputtzumachen. Ich halte
die AfD für eine große Gefahr für die Demokratie. Deswegen
ist der Antrag auf Prüfung eines Verbots aus meiner Sicht ein konsequenter
Schritt.
Sie brauchen fraktionsübergreifend
mindestens 37 Abgeordnete für den Antrag, die haben Sie beisammen. Aber
am Ende brauchen Sie eine Mehrheit im Bundestag, und die ist in weiter Ferne.
Warum rechnen Sie sich trotzdem Chancen aus?
Ich glaube nicht, dass die Mehrheit in weiter Ferne ist.
Es könnte auch in der CDU-Fraktion mehr Menschen geben, die dem Antrag
zustimmen könnten. Einige CDU-Landeschefs haben bereits gesagt, dass
sie dafür große Sympathien hätten.
Aber auch Ihre eigene SPD-Fraktionsspitze
ist bislang dagegen. Wie schätzen Sie die Stimmung in Ihrer Fraktion
ein?
Ich erkenne an, dass es in der strategischen Frage, wann
so ein Antrag Sinn macht und den größtmöglichen Erfolg
hätte, unterschiedliche Einschätzungen gibt. Das gilt aber nicht
für die inhaltliche Frage, was die Bewertung der AfD angeht. Die Fraktion
ist darin sehr, sehr geschlossen.
Zur Person:
Nadine Ruf (46) ist seit Januar 2024 Bundestagsabgeordnete für die SPD.
Sie rückte für Timon Gremmels nach, der als Wissenschafts- und
Kulturminister ins hessische Landeskabinett wechselte. Die Diplom-Betriebswirtin
und dreifache Mutter wurde jüngst von der Wiesbadener SPD erneut als
Direktkandidatin für die kommende Bundestagswahl nominiert.
Natürlich kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit von einem
Erfolg ausgehen. Aber die Gefahr, die von der AfD ausgeht, ist so hoch, dass
ich das Verfahren für unabdingbar halte. (Nadine Ruf)
Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang
hat angekündigt, dass es noch in diesem Jahr ein neues Gutachten zur
AfD geben wird. Welchen Einfluss hat das?
Ich gehe davon aus, dass dann die bisherige Bewertung der
AfD als rechtsextremer und verfassungsfeindlicher Verdachtsfall verschärft
wird und die Partei noch höher eingestuft wird. Und dass dann Abgeordnete
und ganze Fraktionen nochmal neu über einen Verbotsantrag diskutieren
werden.
Die Hürden für ein Parteiverbot
sind aber höher. Ein Verfahren würde wohl Jahre dauern, der Ausgang
wäre ungewiss. Gewiss aber würden Sie es der AfD ermöglichen,
sich über Jahre in der Opferrolle einzufinden. Das stört Sie
nicht?
Die AfD tut das doch jetzt schon. Ich sehe da überhaupt keinen
Unterschied. Sie findet immer wieder Gelegenheit, sich als Opfer und
Diskriminierte darzustellen.
Nochmal: Wenn das Verfahren scheitert,
würden Sie der AfD einen Triumph bescheren. Auch diese Gefahr stört
Sie nicht?
Natürlich kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit
von einem Erfolg ausgehen. Aber die Gefahr, die von der AfD ausgeht, ist
so hoch, dass ich das Verfahren für unabdingbar halte. Ich habe viele
Mails bekommen von Menschen im Osten, die sich zivilgesellschaftlich engagieren.
Die haben eine riesengroße Angst. Es gibt Kommunen, in denen die Mittel
für Jugendarbeit gestrichen werden, in denen die AfD dann den Sportverein
übernimmt und die Jugendarbeit selbst macht. Dort werden
zivilgesellschaftliche Akteure dermaßen unter Druck gesetzt, dass sie
überlegen wegzuziehen. Das, was die NPD eine "national befreite Zone"
nannte, das etabliert sich gerade wieder. Vor allem im Osten, aber inzwischen
auch schon mancherorts im Westen.
Ruf: Viele wählen AfD auch aus Protest
gegen die Bundesregierung
Die rechtsextremen Tendenzen in der AfD
sind seit Jahren offensichtlich. Trotzdem liegt die Partei in Umfragen knapp
vor der SPD und hat bei den Wahlen im Osten um die 30 Prozent erzielt. Was
machen Sie mit diesen Wählern? Die können Sie nicht verbieten.
Natürlich nicht, das hat auch überhaupt niemand
vor. Es gibt einen Teil der Wählerschaft, der die AfD nicht trotz ihrer
rechtsextremen Tendenzen wählt, sondern gerade deshalb. An diese Menschen
heranzukommen, wird immer schwierig sein. Aber ich bin sehr davon
überzeugt, dass es auch viele gibt, die die AfD aus Protest wählen.
Auch aus Protest gegen die Bundesregierung.
Sie ahnen meine nächste Frage. Zu
Beginn der Ampel lag die AfD bei zehn Prozent, inzwischen liegt sie bei um
die 17 Prozent. Wie selbstkritisch ist die SPD, was den Anstieg der AfD
angeht?
Viele Menschen haben den Eindruck, dass ihr Leben negativ
verläuft, die soziale Unsicherheit und wirtschaftliche Verunsicherung
ist groß. Diese Leute können wir nur über ordentliche Politik
zurückgewinnen. Ich weiß, da haben wir in den vergangenen Monaten
nicht die beste Vorstellung abgeliefert. Wobei mich das massiv ärgert:
Wir haben als Koalition eine ganze Menge positiver Dinge umgesetzt und Themen
aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg gebracht. Das, was wir erreicht haben,
reißen wir aber im Umgang miteinander mit dem Hintern wieder ein. Weil
an vielen Stellen, an denen es eigentlich eine Einigung gibt, doch wieder
Streit ausbricht.
Wie wollen Sie die Menschen
zurückgewinnen?
Menschen, die das Gefühl haben, dass ihre
Lebensrealität in der Politik nicht mehr vorkommt, sind empfänglich
für Parteien, die ihnen vermeintlich einfache Lösungen
präsentieren. Die es aber so einfach nicht gibt. Es steigt keine einzige
Rente, nur, weil wir die Grenzen dichtmachen. Die Frage, wie wir unseren
Sozialstaat finanzieren, ist entscheidend. Das betrifft vor allem die Kommunen.
Wir sehen es ja in Wiesbaden. Nur ein Beispiel: Wir haben im Bund eine
Wohngeldreform beschlossen, die ich inhaltlich richtig finde. Aber dabei
wurde nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Kommunen vieles davon
umsetzen müssen - aber oft nicht genug Personal dafür haben. Wir
müssen es schaffen, dass die Leute wieder Vertrauen darin haben, dass
der Staat funktioniert.
Welche Folgen sehen Sie für sich
persönlich? Die Unterstützer des Verbotsantrags exponieren sich
auch als mögliche Zielscheibe der Kritik von ganz rechts.
Darüber habe ich mir in der Tat Gedanken gemacht.
In Wiesbaden bin ich aber in einer relativ privilegierten Situation.
Inwiefern?
Ich habe schon immer sehr klargemacht, wie ich zur AfD
stehe. Und habe dafür in Wiesbaden sehr viel Zuspruch erfahren. Würde
ich im Osten wohnen, würde ich damit vielleicht anders umgehen, da bin
ich sehr offen. Denn ich habe Familie, an die muss ich auch denken. Aber
in Wiesbaden mache ich mir da relativ wenig Sorgen. Wenn Leute mich für
etwas kritisieren wollen, tun sie es jetzt schon. |