60.000 Nägel für den "Eisernen Siegfried"

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Der ,,Trend" begann in Wien: Im März 1915 sollte die Stadt einen ,,Eisernen Wehrmann", eine aus Holz gefertigte Skulptur eines Ritters, auf. Einem spätmittel- alterlichen Brauch folgend, wurde die Figur in den folgen- den Wochen mit Hunderten eisernen Nägeln beschlagen, welche Bürger gegen eine Spende erwerben konnten. Gesammelt wurde für die Kriegskassen, für die an der Front kämpfenden Soldaten und für Kriegsversehrte. Dem Wiener Erfolg nacheifernd schwappte der ,,Nagel-Trend" auch schnell auf viele Städte des Deutschen Reiches über. Es gab einen ,.Eisernen Adler" in Frankfurt am Main, ein ,,Eisernes Kreuz" in Darmstadt und eine namenlose Nagelsäule in Mainz, die auf dem dortigen Liebfrauenplatz heute noch zu sehen ist.

30 Zentner schwer, fast vier Meter hoch
In Wiesbaden wurde im selben Jahr der Bierstadter Bildhauer Carl Wilhelm Bierbrauer vom Kreiskomitee des Roten Kreuzes beauftragt, auch hier eine Nagel-Skulptur zu schaffen. AIs Vorbild diente die Sagenfigur Siegfried als Symbol germanischer Unverwundbarkeit. Und so entstand der ,,Eiserne Siegfried", 3,80 Meter hoch, aus braunem Lindenholz - mit einem germanischen Flügelhelm auf dem Kopf, Schwert in der Hand, einem, Brustpanzer, einem bis zu den Knien reichenden Waffenrock und einem weiten, bis auf den Boden fallenden herrschaftlichen Umhang ausgestattet. Um das Nageln zu erleichtern, war die Statue von einer Treppe umgeben.

Aufstellung gegenüber dem Kaiser-Friedrich-Denkmal
30 Zentner wog der Wiesbadener Siegfried, dessen Herstellung 3000 Mark gekostet hatte. Aufgestellt wurde der Riese am Bowling Green, direkt gegenüber dem Kaiser-Friedrich-Denkmal. Am 26. September 1915 folgte dann die feierliche Einweihung zu den Klängen der Ersatzregimentskapelle und mit vaterländischen Liedern der Wiesbadener Sängervereinigung. Mit dem Kommando ,,Jung Siegfried, zeige Dich" ließ Oberbürgermeister Karl Glässing die Hüllen um die Statue fallen.

Prinzessin schlug den ersten Nagel
Die Ehre, den ersten Nagel in Siegfried zu schlagen, gebührte der in Wiesbaden lebenden Elisabeth Prinzessin Schaumburg-Lippe mit den Worten ,,Ist Gott für uns, wer mag wieder uns sein." Wie auch die Nägel-Skulpturen in anderen Städten wurde der Eiserne Siegfried schnell zu einem Erfolg in Wiesbaden. Für einen einfachen Nagel aus Eisen zahlten die Bürger eine Mark, versilberte kosteten bis zu 20 Mark und vergoldete 200 bis 300 Mark. Mehr als 60.000 Nägel wurden bis Ende des Krieges 1918 in den Siegfried geschlagen. Die Aktion soll über 2,5 Millionen Goldmark eingebracht haben.

Vom Wasserturm in eine alte Gasregelstation
Nach Kriegsende ließ Bürgermeister Glässing den Eisernen Friedrich zunächst am Bowling Green abbauen und in das Foyer des Rathauses bringen, danach fand er im Hof des Landesmuseums sein neues Zuhause. Nach 1957 wurde er im Wasserturm am Bingert auf der Anhöhe zwischen Bierstadt und Rambach untergebracht, dann nach 1992 in eine stillgelegte Gasregelstation in Bierstadt. Dass er nicht im Stadtmuseum ausgestellt wird, hat praktische Gründe: Mit seinen fast vier Metern ist Siegfried für den Marktkeller einfach zu groß.

Quelle: Wiesbadener Kurier vom 27.07.2024 (von: Nils Lüsner )